Warum du dich manchmal fühlst wie ein kleines Kind. Die Entstehung deines Inneren Kindes (und was Trauma und dein Selbstwert damit zu tun hat)

Inneres Kind

Der Moment, der dich "übernimmt"

Du bist in einem Gespräch, vielleicht bei der Arbeit oder mit deinem Partner. Jemand macht eine harmlose, leicht kritische Bemerkung. Und ZACK.

Von einer Sekunde auf die andere fühlst du dich nicht mehr wie ein kompetenter Erwachsener.

Du fühlst dich klein, ertappt, vielleicht tief beschämt oder hast Tränen in den Augen.
Du willst dich am liebsten unter einer Decke verstecken oder fängst an, dich übertrieben zu rechtfertigen.

Später denkst du dir: "Was war das denn? Warum habe ich so überreagiert?"

Genau das war ein Besuch von deinem Inneren Kind.

Genauer gesagt, von einem deiner "verletzten inneren Anteile".

Das ist kein esoterischer Hokuspokus, sondern ein tiefes, psychologisches Muster, das in deiner Kindheit entstanden ist und bis heute dein Fühlen und Handeln steuert.

Aber wie genau entsteht so ein Persönlichkeitsanteil?

Warum ist er auch nach so vielen Jahren noch so mächtig?

 
 

Was ist das "Innere Kind" überhaupt und welche Glaubenssätze können entstehen?

Wenn wir vom "Inneren Kind" sprechen, meinen wir selten ein einzelnes Kind.

Es ist eher wie ein inneres Fotoalbum.

Jede Seite ist ein "eingefrorener Moment" aus unserer Kindheit, in der du von deinen Gefühlen überwältigt wurdest – und niemand da war, der dir geholfen hat, das zu verarbeiten.

In diesem "eingefrorenen Moment" stecken:

  • Das ursprüngliche Gefühl (z.B. die Angst, die Scham, die Einsamkeit).

  • Die Körperempfindung (z.B. der Kloß im Hals, der Druck auf der Brust).

  • Der Glaubenssatz, den du als Kind in diesem Moment über dich und die Welt gelernt hast
    (z.B. "Ich bin falsch", "Ich bin nicht wichtig", "Ich muss alles allein schaffen").

Zum Verständnis:
Das Konzept des inneren Kindes ist eine Metapher für einen Teil deines Nervensystems, der immer noch in der Vergangenheit feststeckt und darauf wartet, "abgeholt" zu werden.

Aber wie wird so ein Moment "eingefroren"?

Das passiert, wenn zwei Dinge zusammentreffen: ein überwältigendes Erlebnis und fehlende Sicherheit.

Die Geburt eines "verletzten Anteils":
Das Marmeladen-Beispiel

So entsteht dein inneres Kind

Stell dir eine ganz normale Alltagssituation vor.

Ein sechsjähriges Kind holt ein Glas Marmelade aus dem Kühlschrank.

Es stolpert, lacht, hampelt herum – und das Glas fällt zu Boden. Es zerschellt.

Jetzt gibt es zwei mögliche Szenarien:

Szenario A: Der "eingefrorene" Moment (Ein verletzter Teil entsteht)
Die Mutter ist gestresst von der Arbeit. Sie kommt in die Küche, sieht das Chaos und reagiert über: "Ich hab dir tausendmal gesagt, du sollst nicht so hampeln! Immer machst du alles kaputt! Sieh dir die Sauerei an! Geh auf dein Zimmer!"

Was passiert im Kind? Es ist allein. Es spürt die Wut der Mutter, fühlt sich schuldig und vor allem tief beschämt. Es ist überwältigt von dem Gefühl: "Ich bin falsch. Ich mache alles kaputt."
Es gibt keinen Trost. Es gibt keine "Reparatur" der Beziehung.

In diesem Moment der extremen Überforderung (Scham, Angst, Verlassenheit) friert das Nervensystem des Kindes diesen Moment ein. Es "kapselt" den Schmerz ab, um weiterfunktionieren zu können.

Ein verletzter Teil ist geboren, wenn solche oder ähnliche Situationen öfter passieren.
Dieser Teil lebt von nun an mit dem Glaubenssatz: "Ich mache alles kaputt, ich bin falsch."

Szenario B: Die sichere Verarbeitung (Ein Ressourcen-Teil entsteht)
Die Mutter ist gestresst, sie schimpft vielleicht sogar kurz. ABER: Nach ein paar Minuten atmet sie durch, geht ins Zimmer des Kindes und nimmt es in den Arm. Sie sagt: "Du, das mit der Marmelade war ärgerlich, und ich war laut. Das tut mir leid. Ich war gestresst. Es war nur ein Missgeschick, das passiert jedem. Ich hab dich lieb. Komm, wir machen das zusammen weg."

Was passiert im Kind? Es fühlt sich gesehen. Der Schreck wird durch Trost (Co-Regulation) beruhigt. Die Scham wird aufgelöst. Die Beziehung ist repariert. Die Situation wird als "erledigt" und "sicher" im Gehirn abgespeichert. Es entsteht kein eingefrorener Anteil. Stattdessen lernt das Kind: "Fehler passieren, aber ich bin trotzdem geliebt."

Aber muss es immer gleich so "dramatisch" sein wie im ersten Beispiel?

Was ist, wenn das Trauma viel leiser war?

Was Trauma in der Kindheit seelisch wirklich bedeutet (Es ist nicht immer laut)

Wenn wir in der Psychologie von "Trauma" sprechen, meinen wir nicht nur die großen Traumata wie körperliche Gewalt oder schwere Unfälle.

Viel häufiger (und oft unterschätzt) ist das Bindungs- und Entwicklungstrauma.

Das ist kein einzelnes Ereignis, sondern ein chronischer Zustand. Es ist oft nicht das, was passiert ist, sondern das, was gefehlt hat.

Solche Traumata, die Innere Kinder erschaffen, sind zum Beispiel:

  • Emotionale Vernachlässigung:
    Du warst traurig, aber niemand hat es bemerkt, weil deine Eltern selbst überfordert oder mit sich beschäftigt waren. Du hast gelernt: "Meine Gefühle sind nicht wichtig. Ich muss damit allein klarkommen."

  • Chronische Kritik:
    Du hast dein Bestes gegeben, aber es hieß immer: "Das geht aber besser" oder "Warum bist du so sensibel?". Du hast gelernt: "Ich bin nicht gut genug, so wie ich bin."

  • Bedingte Liebe:
    Du wurdest gelobt, wenn du gute Noten hattest (Leistung), aber ignoriert, wenn du einfach nur "warst". Du hast gelernt: "Ich muss mir Liebe verdienen."

  • Übernommene Gefühle:
    Deine Mutter oder dein Vater war ständig ängstlich, und du hast (als Kind unbewusst) gelernt, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist.

Diese leisen, sich wiederholenden Verletzungen sind oft noch verwirrender, weil es nach außen so aussah, als sei "alles in Ordnung" gewesen.

Aber warum bleibt das "stecken"?

Warum wird man das als Erwachsener nicht einfach "los"?

Warum dein Erwachsenen-Gehirn es nicht einfach "löschen" kann

Weil das Kind von damals keine erwachsenen Verarbeitungsfähigkeiten hatte.

Wenn ein Kind überwältigt wird (wie im Marmeladen-Beispiel), ist sein "Denkhirn" (der logische Teil) noch nicht ausgereift. Es kann die Situation nicht einordnen. Es kann sich nicht selbst sagen: "Mama ist nur gestresst, das hat nichts mit mir zu tun."

Das Kind ist reines Gefühl und Instinkt.

Wenn in diesem Moment der Überforderung kein Erwachsener da ist, der Sicherheit gibt (Co-Regulation), bleibt dem Nervensystem des Kindes nur eines übrig: Der "Freeze". Es schaltet ab. Es kapselt den Schmerz ab, um zu überleben.

Dieser Anteil bleibt dann genau in diesem Alter, mit diesen Gefühlen und diesen Glaubenssätzen im Nervensystem gespeichert.

Das ist der Grund, warum du heute 40 sein kannst, aber bei einer bestimmten Kritik fühlst du dich wieder wie Sechs. Es ist derselbe Teil, der "getriggert" wird und die Führung übernimmt.

Aber wenn dieser Anteil so verletzlich ist, wie hat er all die Jahre überlebt?

Die Bodyguards:
Wie dein verletztes Kind in seiner Innenwelt "Beschützer" erschaffen hat

Dein System ist genial.

Sobald dieser verletzte, "eingefrorene" Teil da ist, erschafft es sofort andere Anteile, die ihn beschützen sollen.

Es sind die "Bodyguards" oder Beschützer-Anteile.

Sie haben eine Mission: Nie wieder sollst du dich so ohnmächtig, beschämt oder verlassen fühlen wie damals.

  • Wenn dein Inneres Kind gelernt hat "Ich mache alles kaputt", erschafft dein System den "Perfektionisten".
    Sein Job: Wenn du alles fehlerfrei machst, kannst du nicht kritisiert werden.

  • Wenn dein Inneres Kind gelernt hat "Ich bin nicht gut genug", erschafft dein System den "Inneren Kritiker".
    Sein Job: Er beschimpft dich lieber selbst, bevor es ein anderer tut. Das fühlt sich (für das System) sicherer an.

  • Wenn dein Inneres Kind gelernt hat "Ich werde verlassen", erschafft dein System den "People-Pleaser" (den Angepassten).
    Sein Job: Wenn du es allen recht machst, verlässt dich niemand.

Das, was du heute vielleicht als deine "größten Schwächen" (Perfektionismus, Selbstkritik) siehst, sind in Wahrheit die überfürsorglichen Bodyguards deines Inneren Kindes.

Das klingt alles traurig und vielleicht auch ein bisschen kompliziert.

Aber die wichtigste Frage ist doch:
Wenn das alles so tief sitzt, kann man diese Kindheitserfahrungen überhaupt heilen?

Der Schlüssel zur Lösung:
Warum innere Kind Arbeit so heilsam ist - das innere Kind verstehen

Ja. Absolut.

Und das ist die wunderschöne Nachricht dieser Arbeit.

Die Heilung des inneren Kindes bedeutet nicht, es "wegzumachen" oder es zum Schweigen zu bringen. Heilung bedeutet, dass du (als dein liebevolles, erwachsenes Selbst von heute) lernst, zu diesem Kind zurückzugehen.

In einer Psychotherapie (Schematherapie), die mit inneren Persönlichkeitsanteilen arbeitet oder in meinem traumasensiblen Coaching, machen wir genau das: Wir treten in einen inneren Kontakt.

Du wirst zum Zeugen. Du wirst zu dem Erwachsenen, den dieses Kind damals so dringend gebraucht hätte.

Du gehst (in deiner Vorstellung) zurück in das Zimmer zu dem Sechsjährigen mit der zerbrochenen Marmelade. Du nimmst es in den Arm. Du sagst ihm: "Du bist nicht falsch. Das war ein Unfall. Ich bin bei dir. Du bist sicher."

Dieses "Nachnähren" (Reparenting) ist das, was den "eingefrorenen Moment" auflöst.
Es gibt dem Teil die Sicherheit und den Trost, den er nie bekommen hat. Es holt ihn aus der Vergangenheit ins Heute.

Und wenn das verletzte Kind sich sicher fühlt, müssen seine Bodyguards (der Perfektionist, der Kritiker) nicht mehr rund um die Uhr Wache schieben. Sie dürfen sich entspannen. Und du wirst frei.

Möchte das Kind in Dir Heimat finden?
Unterstützung bei der Versorgung alter Wunden - Wege zur Selbstheilung 

Wie die Psychologin Stefanie Stahl schon in ihrem Buch geschrieben hat:
"Das Kind in dir muss Heimat finden".

Wenn dein inneres Kind nach Hause geholt wird, versorgt und gestärkt wird, verändern sich immer wiederkehrende Verhaltensmuster wie von selbst. Dein Vertrauen in dich selbst und deine Resilienz steigt.

Die Arbeit mit dem inneren Kind kann intensiv sein. Es ist eine Begegnung mit tiefem, altem Schmerz, aber auch mit der Quelle deiner größten Lebendigkeit.


Wenn du beim Lesen gespürt hast:
"Ja, das kenne ich", und du dir eine sichere, achtsame Begleitung wünschst, um deine Inneren Kinder kennenzulernen und zu heilen, dann bin ich für dich da.

Hier findest du mein Angebot für mein traumasensibles Coaching 🌱


Ich bin Nicole.
Ich bin Coach für Neurosystemische Integration, ganzheitlich integrative Traumaarbeit

Ich begleite Menschen, die ihr Leben lang funktioniert und sich angepasst haben. Jetzt suchen sie eine Veränderung.

Sie wirken nach außen stark, sind innerlich aber am Rande der Erschöpfung.

Ich helfe ihnen, den Kreislauf aus Anpassung, Schuldgefühlen und Selbstzweifeln zu verlassen.

So finden sie den inneren Frieden, den sie sich schon lange wünschen.

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