Wenn dein Nervensystem nicht abschalten kann – Innere Unruhe als Folge von Bindungstrauma

Innere Unruhe - ein mögliches Symptom von Bindungstrauma – Wenn dein Nervensystem nie wirklich zur Ruhe kommt

Warum fühlt sich dein Körper oft angespannt und unruhig an – selbst in Momenten, in denen eigentlich alles in Ordnung ist?

In diesem Artikel erfährst du, warum anhaltender Stress und innere Unruhe kein Zufall sind, sondern oft mit frühen Bindungserfahrungen zusammenhängen.

Mithilfe des Stresstoleranzfensters bekommst du einen einfachen und anschaulichen Einblick in die Funktionsweise deines Nervensystems.

Ursachen für innere Unruhe - warum du dich nie ganz entspannen kannst

Kennst du das Gefühl, ständig innerlich angespannt zu sein, ohne genau zu wissen, warum?

Dein Körper ist in Alarmbereitschaft, deine Gedanken kreisen, und echte Entspannung scheint unerreichbar. Auch wenn im Außen alles ruhig ist, fühlt es sich in dir so an, als müsstest du jederzeit auf der Hut sein.

Diese innere Unruhe kommt nicht aus dem Nichts – oft hat sie tiefe Wurzeln. Wenn unsere frühen Bindungserfahrungen von Unsicherheit, emotionaler Distanz oder unzuverlässigen Bezugspersonen geprägt waren, kann das Nervensystem in einem ständigen Alarmmodus gefangen bleiben. Es sucht nach Bedrohungen, auch wenn keine da sind.

Besonders in engen Beziehungen kann sich das bemerkbar machen: ein plötzliches Gefühl von Unruhe, Angst oder der Drang, dich zurückzuziehen – selbst dann, wenn objektiv alles in Ordnung ist. Doch du bist diesem Zustand nicht hilflos ausgeliefert. Wenn du verstehst, woher diese Anspannung kommt, kannst du beginnen, sie sanft zu lösen.

Falls du mehr darüber erfahren möchtest, wie Bindungstrauma entsteht und wie es sich auf dein Leben auswirkt, findest du hier einen ausführlichen Artikel dazu: Bindungstrauma verstehen.

Das Stresstoleranzfenster (nach Daniel Siegel) –
Wie dein Nervensystem auf frühere Erfahrungen reagiert und wo kann es innere Unruhe auslösen

Das Stresstoleranzfenster (auch Window of Tolerante) ist ein einfach zu verstehendes Konzept, das uns dabei hilft, das eigene Erleben in stressigen Situationen besser zu verstehen.

Es beschreibt den Bereich, in dem du dich sicher, ausgeglichen und handlungsfähig fühlst. Innerhalb dieses Fensters kann dein Nervensystem flexibel auf Herausforderungen reagieren, ohne in starke Übererregung (z. B. Panik, Wut) oder Untererregung (z. B. Erstarrung, Erschöpfung) zu fallen.

Wenn dein Stresstoleranzfenster durch frühe Unsicherheiten oder Bindungstrauma verengt ist, kann dein Nervensystem dauerhaft in Alarmbereitschaft sein – selbst dann, wenn es keinen realen Grund zur Sorge gibt. Dieses Wissen kann dir helfen zu verstehen, wo deine ständige innere Unruhe ihren Ursprung hat und wie du sanft daran arbeiten kannst, dein Nervensystem zu regulieren.

Dafür werfen wir zuerst einen kleinen Blick auf das autonome Nervensystem.

Zustände des Nervensystems im Stresstoleranzfenster
  • Übererregung (Bedrohung):
    Das Nervensystem ist auf Gefahren ausgerichtet. Hier befinden wir uns im Kampf- oder Fluchtmodus.

  • Gesundes Fenster (Sicherheit):
    In diesem Bereich fühlt man sich sicher, reguliert Emotionen gut und kann flexibel auf Herausforderungen reagieren. Man fühlt sich psychisch stabil

  • Untererregung (Lebensbedrohung): Unser Nervensystem gibt auf. Überleben ist höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich.


Bevor wir uns das Stresstoleranzfenster in Balance ansehen, habe ich hier die Funktionen des Sympathikus und des Parasympathikus einmal kurz erklärt, um mögliche Ursachen für innere Unruhe zu verstehen.

Die Funktionen des Sympathikus  - hier zeigt sich innere Unruhe

Das sympathische Nervensystem ist dafür zuständig, uns in Handlungsbereitschaft zu versetzen und Energie zu mobilisieren, um aktiv zu sein oder auf Herausforderungen zu reagieren. Es ist immer dann am Werk, wenn wir in Aktivität sind, wie beim Sport oder im Spiel.

Auch wenn wir eine aufregende Situation erleben, beispielsweise wenn wir einen Vortrag vor einer Gruppe halten wollen oder mit jemandem mitfiebern.

Unter Bedrohung befähigt uns der Sympathikus zum aggressiven Kämpfen und blitzschnellen Fliehen und mobilisiert ungeahnte Kräfte für unser Überleben.

Die Funktionen des Parasympathikus - hier verlässt uns die Anspannung

Der Parasympathikus ist grundlegend zuständig für die autonomen Prozesse, die in Ruhe und Entspannung ablaufen.

Er ist sprichwörtlich verantwortlich für „Verdauung im Körper und im Geiste“, also für Regeneration, Erholung und Entspannung.

Die Aktivität des Parasympathikus erlaubt uns, Gelerntes zu integrieren und in Ruhe Kraft zu sammeln.

Die 2 wesentliche Funktionen des Parasympathikus

Ein Teil des parasympathischen Nervensystems essenziell wichtig für unseren Ausdruck als soziale Wesen und das Erleben, Empfinden und Gestalten von Verbundenheit.

Ein anderer Teil ist zuständig für tiefe Entspannung aber auch für die Notlösung des Totstellreflexes mit emotionaler Taubheit , körperlicher Starre und Immobilität.



Der sichere Bereich (Das Stresstoleranzfenster in Balance)

Der Bereich des Stresstoleranzfensters ist der Bereich, in welchem wir uns wohl und sicher fühlen, ohne psychische Belastungen. Wir sind innerhalb dieses Bereiches in der Lage rational zu denken und Neues zu lernen. Befinden wir uns innerhalb des Toleranzfensters, können wir das Leben genießen.

Am oberen Bereich des Stresstoleranzfensters empfinden wir zum Beispiel angenehme Aufregung, Freude und Wachheit.

Am unteren Bereich des Toleranzfensters empfinden wir zum Beispiel tiefe Entspannung, angenehme Ruhe, ein Gefühl von Verbundenheit.

Wie entsteht im Inneren ein Gefühl von Sicherheit?

Sicherheit entsteht, wenn die (komplexe) Wahrnehmung des Organismus aus den gesammelten „Wahrnehmungsdaten“ das Ergebnis ableitet, dass keine Gefahr droht oder besteht.

Wie sicher sich ein Mensch in der Welt fühlt, hängt oft mehr von seinen frühen Prägungen ab als von der gegenwärtigen Situation.

Was ist Sicherheit neurobiologisch betrachtet?

Das autonome Nervensystem ist in jeder Sekunde unseres Daseins damit beschäftigt, die Umgebung zu überprüfen und auf potenzielle Gefahren abzuscannen. Es ist also immer darauf ausgerichtet zu melden, wenn wir in Gefahr sind. Nur wenn wir uns gefühlt in einem Zustand der Sicherheit befinden, erleben wir innere Balance und äußere Verbundenheit. Die Überprüfung unserer Umgebung läuft vollkommen automatisch und unbewusst ab, ohne dass wir etwas dafür tun müssten.

Dafür haben wir unsere eigenes Alarmsystem, die „Neurozeption“

Diese Fähigkeit ermöglicht es unserem Nervensystem, zwischen gefahrlosen, gefährlichen und lebensgefährlichen Situationen und Menschen zu unterscheiden.

Was genau vom Unterbewusstsein eines erwachsenen Menschen als bedrohlich, lebensbedrohlich oder ungefährlich eingestuft wird, ist maßgeblich von seinen bisherigen Erfahrungen beeinflusst, genauer gesagt von dem, was er über Sicherheit und Gefahr gelernt hat.

Das bedeutet auch: Sicherheit ist ein subjektives Erleben.

Das grundlegende Empfinden von Sicherheit durch Neurozeption basiert also auf den Erfahrungen unserer frühen Kindheit, in denen wir durch unsere Bezugspersonen lernen, wie sich Sicherheit und Geborgenheit, aber auch ein Mangel dessen, also Gefahr, Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein anfühlen.

Was passiert, wenn wir in Stress geraten?

Wenn wir in Stress geraten, dann kann es passieren (je nachdem wie groß der Stress ist), dass wir das Stresstoleranzfenster verlassenen und dann entsprechend des Stressumfangs, bzw. der Größe der Gefahr entweder in einen Zustand der Übererregung (Sympathikus) oder einen Zustand der Untererregung (Parasympathikus) geraten.




Wenn wir in Stress geraten

Ein Beispiel für eine gelungene Stressverarbeitung 

Stell dir vor, Anna ist bei der Arbeit und erhält plötzlich von ihrem Chef eine scharfe Kritik in einem Meeting. Sie spürt, wie ihr Stresspegel steigt: sie bekommt Herzklopfen, die Atmung wird flach, und sie beginnt sich überfordert zu fühlen. Das ist der Beginn der Übererregung.

Fluchtreaktion: 
Anna spürt den Impuls, sich zu entfernen, um sich zu beruhigen und ihre Nervosität zu lindern. Sie entschuldigt sich und verlässt den Raum für einen kurzen Moment. Sie geht an die frische Luft und atmet tief durch. Diese kurze Pause hilft ihr, den Stress abzubauen.

Co-Regulation: 
Während der Pause ruft sie eine Freundin an, die ihr zuhört und sie beruhigt. Das Gespräch mit der Freundin hilft Anna, ihre Gefühle zu verarbeiten und eine andere Perspektive zu bekommen.

Rückkehr zur Balance:
Nach ein paar Minuten fühlt sich Anna wieder klarer im Kopf. Ihr Herzschlag normalisiert sich, und sie fühlt sich weniger überwältigt. Sie geht zurück ins Meeting, jetzt emotional ausgeglichener und bereit, konstruktiv weiterzuarbeiten.

In diesem Beispiel funktionierte die Flucht (kurz den Raum verlassen) und Co-Regulation (Unterstützung durch die Freundin) als Wege, um den Stress abzubauen und Anna ins Stresstoleranzfenster zurückzubringen.

Wenn wir Stress regulieren können

Was passiert, wenn die Stressverarbeitung nicht gelingt?


Wenn wir extremen Stress ausgesetzt sind

Ein Beispiel für eine dysfunktionale Stressregulation

Stell dir vor, Max ist in einer Teamsitzung und erhält plötzlich eine harte Kritik von seinem Chef vor allen Kollegen. Sofort fühlt er sich unter Druck und gestresst. Sein Körper möchte entweder kämpfen (sich verteidigen) oder fliehen (den Raum verlassen), doch keine dieser Optionen ist möglich, da er sich nicht erlauben kann, auf diese Weise zu reagieren, was bei ihm zu einer nervösen Unruhe führt.

Kampf und Flucht sind blockiert:
Max hat das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen oder den Raum zu verlassen, aber er fühlt, dass es nicht angebracht wäre, da er vor seinen Kollegen steht und nicht riskieren möchte, noch mehr negativ aufzufallen. Er kann seine Gefühle weder ausdrücken noch entweichen.

Keine Co-Regulation:
Max hat in diesem Moment niemanden, der ihm emotional beistehen könnte. Er kann sich nicht mit jemandem austauschen oder die Situation relativieren. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, was den Druck noch weiter erhöht und innere Unruhe verursacht.

Überforderung und Untererregung:
Da weder Kampf noch Flucht möglich sind und es keine emotionale Unterstützung gibt, kippt Max in die Untererregung. Sein Körper reagiert, indem er emotional „abschaltet“. Max fühlt sich plötzlich betäubt, leer und distanziert von der Situation. Er hört auf, aktiv zuzuhören, und es fühlt sich an, als ob alles nur noch an ihm vorbeigeht. Seine Gedanken sind vernebelt, und er kann kaum noch auf die Situation reagieren.

Innere Erstarrung:
Max wirkt äußerlich vielleicht ruhig, doch innerlich ist er gelähmt. Er sitzt die restliche Sitzung schweigend aus, unfähig, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen, und fühlt sich danach erschöpft und gefühllos.

In diesem Beispiel führte der blockierte Stressausgleich (weder Kampf, Flucht noch CoRegulation war möglich) dazu, dass Max' Nervensystem in die Untererregung fiel. Er fühlte sich dissoziiert und in einer Art innerer Erstarrung.

Was passiert bei traumatischen Erfahrungen?

Ein Trauma entsteht, wenn man über längere Zeit außerhalb seines Stresstoleranzfensters in einem Zustand der Übererregung bleibt und keine Möglichkeit hat, den Stress zu regulieren.

Bei Komplextraumatisierung in der Kindheit, wie durch z. Bsp. nicht so guter emotionaler Erfahrung, erlebt das Kind wiederholt extreme Stresssituationen ohne ausreichende Unterstützung (Co-Regulation).

Da das kindliche Nervensystem noch nicht vollständig entwickelt ist, gerät es ständig in einen Überlebensmodus (Kampf, Flucht, Erstarrung). Ohne die Möglichkeit, in den regulierten Zustand zurückzukehren, wird das Nervensystem chronisch dysreguliert, was langfristig zu tiefer Verwurzelung des Traumas und Problemen in der Emotions- und Stressbewältigung führt.

Da man nicht dauerhaft in der Übererregung bleiben kann, stellt uns unser Nervensystem eine rettende Funktion bereit. Eine Schutzfunktion, denn in dem oberen, gestressten Bereich zu bleiben, ist für unser Körpersystem extrem kostspielig. Die bereitgestellte Energie ist nicht für die Dauer gedacht, sondern für das Überleben einer Situation, die durch belastende Ereignisse ausgelöst wird.

Daher wird vom Nervensystem eine art Notbremse gezogen und wir rasen quasi in die Untererregung.


Wenn langanhaltender Stress zum Trauma wird

Was macht Trauma mit dem Stresstoleranzfenster ? 

Menschen mit Bindungstrauma haben oft ein sehr enges Stresstoleranzfenster und wechseln schnell zwischen Über- und Untererregung.

Stresstoleranzfenster bei Trauma

Variante 1 (ständiges Schwanken zwischen Über- und Untererregung)

Bei Trauma gerät das Nervensystem aus dem Gleichgewicht und wechselt oft zwischen Übererregung und Untererregung, weil es ständig versucht, sich zu schützen.

In Übererregung bleibt der Körper in Alarmbereitschaft (Kampf- oder Fluchtmodus), um mögliche Bedrohungen abzuwehren. Wenn der Stress zu überwältigend wird, schaltet das Nervensystem in die Untererregung, um emotional abzuschalten und sich vor weiterem Schaden zu schützen.

Ein Beispiel für den Wechsel in größeren Abständen

Stell dir Tom vor, der in seiner Kindheit keine so gute emotionale Erfahrungen gemacht hat.

Dadurch hat sich sein Nervensystem so verändert, dass er nun als Erwachsener oft länger in Zuständen der Übererregung oder Untererregung verbleibt.

Länger anhaltende Übererregung:

Tom arbeitet als Projektmanager und hat eine hohe Verantwortung. Über mehrere Wochen steht er unter enormem Druck, da mehrere Deadlines anstehen. Seine Übererregung bleibt über Tage oder sogar Wochen hinweg aufrechterhalten: Er schläft schlecht, hat ständig das Gefühl in Alarmbereitschaft zu sein, und fühlt sich rastlos uns spürt ständig eine innere Unruhe. Selbst in seiner Freizeit kann er nicht abschalten. Er ist gereizt, ängstlich und fühlt sich, als ob er ständig "auf der Flucht" wäre. Sein Herz rast oft, er hat Spannungskopfschmerzen und reagiert übermäßig auf kleine Stressoren. Er hat Schlaf- und Durchschlafprobleme. Dieser Zustand der anhaltenden Übererregung führt dazu, dass sein Nervensystem dauerhaft hochaktiviert bleibt.

Übergang in länger anhaltende Untererregung:

Nach Wochen in diesem Zustand bricht Tom plötzlich emotional und körperlich zusammen. Er fühlt sich völlig ausgelaugt und zieht sich zurück. Jetzt befindet er sich in einer Phase der Untererregung, die mehrere Tage oder sogar Wochen andauern kann. Er fühlt sich emotional leer, apathisch und hat das Gefühl, wie in einer Blase zu leben. Tom geht nur noch mechanisch durch den Alltag: Arbeiten fällt ihm schwer, er hat keine Energie für soziale Kontakte, und er spürt keine Freude oder Interesse an Dingen, die ihm früher wichtig waren. In diesem Zustand ist er gefühlsmäßig "abgeschaltet" und völlig zurückgezogen.

Rückkehr zur Übererregung:

Irgendwann, nachdem Tom etwas Energie gesammelt hat oder wenn neue Stressfaktoren auftauchen (z. B. neue Arbeitsprojekte), wird er erneut in die Übererregung zurückfallen. Sein Körper springt wieder in den Alarmmodus, und der Kreislauf beginnt von Neuem.

In diesem Beispiel dauern die Phasen von Übererregung und Untererregung länger an, oft über Wochen oder Monate, ohne dass Tom in der Lage ist, sich selbst zu regulieren.

Variante 2 (latente Übererregung)

Wenn wir uns ständig in einem Zustand der latenten Übererregung befinden, fühlt sich das oft so an, als ob der Körper und Geist ständig unter Spannung stehen. Dies kann zu chronischem Stress, innerer Unruhe und einer anhaltenden Bereitschaft zur Reaktion führen, selbst wenn keine akute Bedrohung vorhanden ist.

Beispiel für “latente Übererregung”

Stell dir Lisa vor, die in einem Einzelhandelsgeschäft arbeitet. Sie führt ein einfaches, aber geschäftiges Leben, in dem sie den täglichen Anforderungen von Job, Familie und sozialen Verpflichtungen gerecht werden muss.

Wie sich das anfühlt, wenn Lisa latent in der Übererregung ist:

Rastlosigkeit:
Lisa hat das Gefühl, dass sie ständig beschäftigt sein muss. Auch in ihrer Freizeit kann sie sich nicht entspannen und verbringt ihre Zeit oft damit, ihre To-Do-Listen zu überarbeiten oder sich auf kommende Aufgaben vorzubereiten. Wenn sie nichts zu tun hat, kann das sofort innere Unruhe auslösen und sie muss sich mit irgendetwas beschäftigen.

Ängstlichkeit:
Bei der Arbeit macht sich Lisa ständig Sorgen, wie sie von ihren Vorgesetzten wahrgenommen wird. Auch kleine Fehler oder Kritik von Kolleginnen bringen sie aus dem Gleichgewicht, was ihre innere Anspannung verstärkt. Schon in ihrer Ausbildung hat sie unter enormer Prüfungsangst gelitten.

Physische Symptome:
Sie bemerkt, dass sie häufig Kopfschmerzen hat, Schweißausbrüche, ihre Schultern verspannt sind und sie unter innerer Unruhe leidet. Manchmal hat sie das Gefühl, dass ihr der Magen weh tut, besonders wenn sie an anstehende Verkaufsgespräche denkt. Sie hat oft Angst vor einer Erkrankung.

Emotionale Empfindlichkeit:
Wenn ihre Freundin ihr während eines Gesprächs einen Ratschlag gibt oder ihr sagt, dass sie etwas nicht richtig gemacht hat, reagiert sie oft über. Sie fühlt sich sofort angegriffen, auch wenn es nicht so gemeint ist, und zieht sich dann emotional zurück.

Konzentrationsschwierigkeiten:
Während ihrer Schichten im Einzelhandel hat Lisa Schwierigkeiten, sich auf Kunden oder Aufgaben zu konzentrieren, da ihre Gedanken ständig um ihre Sorgen und den Druck kreisen, der auf ihr lastet.

Langfristige Auswirkungen:
Lisa bleibt in einem Zustand der latenten Übererregung, was dazu führt, dass sie sich schnell erschöpft und ausgebrannt fühlt. Obwohl sie einen normalen Alltag führt, beeinträchtigt die ständige innere Unruhe und Anspannung ihre Lebensqualität. Sie hat Schwierigkeiten, Freude an Dingen zu finden, die ihr früher Spaß gemacht haben, und fühlt sich oft isoliert.

Variante 3 (latenter Zustand der Untererregung)

Ein latenter Zustand der Untererregung fühlt sich an, als ob man emotional und körperlich "abgeschaltet" ist, ohne sich dessen vollständig bewusst zu sein. Es ist eine Art dauerhafte emotionale Taubheit oder Müdigkeit, bei der man sich distanziert und entkoppelt von der Umgebung fühlt.

Es ist, als ob man durch den Alltag "funktioniert", aber innerlich kaum lebendig ist, oft ohne offensichtliche, akute Stressfaktoren.

Beispiel für “latenter Zustand der Untererregung”

Stell dir Nina vor, die in einer Buchhandlung arbeitet. Obwohl sie einen geregelten Alltag hat und alles "funktioniert", befindet sie sich in einem latenten Zustand der Untererregung.

Wie sich das für Nina anfühlt:

Emotionale Taubheit:
Nina merkt, dass sie emotional wenig empfindet. Dinge, die ihr früher Freude gemacht haben, wie das Lesen oder Zeit mit Freunden verbringen, fühlen sich jetzt leer und bedeutungslos an. Sie geht diesen Aktivitäten zwar nach, aber ohne innere Beteiligung.

Erschöpfung:
Ihre innere Unruhe führt oft zu Schlafproblemen, daher fühlt sich Nina ständig müde. Sie hat kaum Energie für spontane Aktivitäten und fühlt sich oft zu ausgelaugt, um sich auf neue Dinge einzulassen. Am Wochenende bleibt sie meistens zu Hause und meidet soziale Kontakte.

Gleichgültigkeit:
In der Buchhandlung erledigt Nina ihre Aufgaben mechanisch. Sie ist freundlich zu Kunden, aber innerlich distanziert. Wenn Probleme auftreten, wie eine Beschwerde eines Kunden oder eine unerwartete Herausforderung, reagiert sie mit Gleichgültigkeit, anstatt sich darüber zu ärgern oder gestresst zu sein.

Gedankenleere:
Nina hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Sie liest Bücher, aber nach ein paar Seiten kann sie sich an nichts mehr erinnern. Oft wandern ihre Gedanken ins Leere, ohne dass sie aktiv darüber nachdenkt, was sie als Nächstes tun möchte.

Soziale Isolation:
Obwohl sie mit ihren Kolleginnen und Freunden in Kontakt bleibt, fühlt Nina sich innerlich isoliert. Sie nimmt an Gesprächen teil, aber sie fühlt sich dabei oft wie eine Beobachterin, die nicht wirklich verbunden ist.

Langfristige Auswirkungen:
Nina lebt in diesem Zustand der latenten Untererregung, der sich schleichend über die Zeit entwickelt hat. Äußerlich scheint alles normal, aber innerlich fühlt sie sich leer und ausgebrannt. Wenn sie keine Wege findet, sich emotional wieder zu "aktivieren" oder mit den tieferen Ursachen ihres Zustands umzugehen, könnte dieser Zustand langfristig zu Depressionen oder körperlichen Beschwerden führen.

Was kann man tun, um das Stresstoleranzfenster zu weiten -
um die Symptome der inneren Unruhe und innere Anspannung zu lindern

Regulationsfähigkeit stärken und aktiv pflegen:

Dein Nervensystem wird widerstandsfähiger gegenüber Stress, wenn du bewusst lernst, es zu beruhigen. Regelmäßiges wiederholen von Regulationsübungen, auch wenn du gerade keinen Stress empfindest, hilft deinem Körper, sich schneller von Stress zu erholen und langfristig stressresistenter zu werden.
Auch autogenes Training, Achtsamkeitsübungen sowie progressive Muskelentspannung kann helfen, dein Nervensystem zu balancieren.

Ich-Grenzen wahrnehmen:

Eine klare Wahrnehmung deiner eigenen physischen und emotionalen Grenzen schützt dich vor Überlastung. Wenn du erkennst, wann du "zu viel" machst oder wann du dich unwohl fühlst, kannst du rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, bevor du dich überforderst. Dazu gehört auch, in Beziehungen gesunde Grenzen zu setzen und "Nein" zu sagen, um dein Wohlbefinden zu schützen.

Ressourcen stärken und pflegen:

Sie verbinden dich mit dem Hier und Jetzt und bieten dir ein Gefühl von Sicherheit und Wohlgefühl. Aktiviert werden sie durch wahrnehmen, hinspüren und wirken lassen. Gepflegt werden sie durch das immer wieder Wiederholen der Wahrnehmungen und das Einüben von Entspannungstechniken. Sie ermöglichen eine Regeneration des Nervensystems und helfen dir dabei, schwierige Situationen besser zu bewältigen.

Wohlwollende Hinwendung zu uns selbst:

Selbstmitgefühl ist eine kraftvolle Methode, um dein Stresstoleranzfenster zu erweitern. Anstatt dich für Fehler oder Schwächen zu verurteilen, übe dich darin, freundlich und nachsichtig mit dir selbst umzugehen. Selbstfürsorge-Aktivitäten, wie bewusstes Ausruhen oder das Tun von Dingen, die dir Freude machen, sind wichtige Mittel zur inneren Balance.

Bewusstheit für eigene Zustände entwickeln und regulierend einwirken:

Es ist wichtig, deine emotionalen und körperlichen Zustände zu erkennen und zu verstehen. Nimm dir Zeit, in dich hineinzuhorchen: Fühlst du dich gestresst, angespannt oder erschöpft? Wenn du solche Zustände wahrnimmst, kannst du frühzeitig regulierend einwirken, bevor der Stress überwältigend wird – sei es durch Regulationsübungen, aktivieren von Ressourcen, Pausen oder Gespräche mit Freunden.

Soziale Unterstützung suchen:

Die Nähe zu anderen Menschen hilft, Stress abzubauen und das Nervensystem zu beruhigen. Ob Familie, Freunde oder ein vertrauter Kollege – ein unterstützendes Netzwerk bietet emotionale Sicherheit und hilft dir, schneller in die Regulation zu finden. Durch Co-Regulation, also das Teilen und Bewältigen von Emotionen mit anderen, wächst dein Toleranzfenster.

Traumasensible Psychotherapie oder traumasensible Begleitung

Scheu dich nicht Unterstützung zu holen. Eine traumasensible Arbeitsweise eines Psychologen oder Begleiter/Coach weiß von Trauma und deren Folgen (die Auslöser für innere Unruhe sein können). In einer traumasensiblen Begleitung wird der Fokus mit gezielten Methoden auf das Weiten deines Stresstoleranzfensters gelegt. 

Wenn ich unter Innerer Unruhe leide -
Wann zum Arzt gehen, um durch ärztliche Abklärung Erkrankung auszuschließen

Innere Unruhe kann ein Zeichen eines dauerhaft überlasteten Nervensystems sein – besonders, wenn du Bindungstrauma erlebt hast. Dein Körper bleibt im Alarmzustand, weil er sich nie ganz sicher fühlt. Doch wenn die Unruhe überhandnimmt, deinen Alltag bestimmt oder mit körperlichen Symptomen wie ständiges Herzrasen, Schwindel oder Schlaflosigkeit einhergeht, kann es sinnvoll sein, ärztlichen oder klinischen Rat einzuholen um eine körperliche (z. Bsp. Schilddrüsenüberfunktion, Bluthochdruck oder Unterzuckerung) oder psychische Erkrankung, bzw. psychische Ursachen, abklären zu lassen.

Fazit: Dein Nervensystem darf heilen

Innere Unruhe ist keine Schwäche, sondern ein erlerntes Muster deines Nervensystems, das sich anpassen kann.

Mit Geduld, Bewusstheit und den richtigen Methoden kannst du lernen, mehr Ruhe und Sicherheit in dein Leben zu bringen.

Der erste Schritt? Deinen Zustand wahrnehmen – und liebevoll anerkennen, dass er dich bisher beschützt hat.

Gern begleite ich dich dabei, dein Stresstoleranzfenster zu erweitern – damit du innere Ruhe findest und dich endlich wieder sicher und entspannt fühlen kannst.

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Müdigkeit und Erschöpfung als Symptom von Bindungstrauma – Warum du dich ständig müde fühlst

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Angst vor dem Gefühl der Ablehnung … wo kommt sie her und wo kann sie hinführen?