Histrionische Persönlichkeitsstörung: Was, wenn "Drama" kein Spaß, sondern ein Zwang ist?
Die Welt als Bühne
Kennst du das?
Jemand betritt den Raum und – BAMM – die Show beginnt.
Diese Menschen sind faszinierend:
Sie erzählen die wildesten Geschichten, sind provokativ, lachen am lautesten, weinen am dramatischsten und sehen dabei immer umwerfend aus.
Theatralisches erzählen liegt in ihrer Natur. Ihr Leben scheint ein einziger Kinofilm zu sein.
Man nennt sie oft "Drama Queens" oder "Drama Kings". Sie stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Für Außenstehende ist diese Emotionalität oft unterhaltsam, manchmal aber auch unglaublich anstrengend.
Aber was, wenn hinter dieser Fassade mehr steckt als nur der Wunsch nach Aufmerksamkeit?
Was, wenn es ein unkontrollierbarer, tiefer Bedarf ist?
Hier sprechen wir nicht mehr über eine Charaktereigenschaft, sondern über die Histrionische Persönlichkeitsstörung.
Es geht nicht darum, dass Betroffene Aufmerksamkeit wollen – so wie man sich ein Stück Kuchen wünscht. Es geht darum, dass sie Aufmerksamkeit brauchen, um sich überhaupt wertvoll und lebendig zu fühlen.
Und genau dieser Zwang, ständig "auf Sendung" sein zu müssen, führt oft zu massivem innerem Leid und Problemen.
Aber woran genau erkennt man den Unterschied zwischen einem "Schowtalent" und einer echten psychischen Störung?
Woran erkennt man eine Histrionische Persönlichkeitsstörung? (8 häufige Symptome)
Um das Ganze greifbar zu machen, schauen wir uns mal an, wie sich das im echten Leben zeigt.
Stell es dir wie eine Checkliste vor. Je mehr Punkte zutreffen (und je länger das schon so geht), desto eher spricht man von einem Problem.
Der "Spotlight-Zwang":
Betroffene fühlen sich wirklich unwohl, wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen. Wenn die Gruppe sich jemand anderem zuwendet, werden sie unruhig und versuchen, die Aufmerksamkeit sofort wieder auf sich zu lenken (z.B. durch eine neue, dramatische Geschichte).Flirten als Werkzeug:
Die Art, mit anderen umzugehen, ist oft übertrieben verführerisch oder provokant – auch in Situationen, wo es unangemessen ist (z.B. beim Elterngespräch oder im Job-Meeting). Wichtig: Es ist selten sexuell, es geht eher darum, das Gegenüber zu fesseln.Die Gefühls-Achterbahn (die schnell fährt):
Die Emotionen sind super intensiv, wechseln aber blitzschnell. Eben noch wegen einer Kleinigkeit am Boden zerstört, fünf Minuten später wieder himmelhochjauchzend. Für andere wirkt das oft "flach" oder "nicht echt" oder dezent übertrieben.Das Äußere ist alles:
Das Aussehen wird gezielt eingesetzt, um Blicke auf sich zu ziehen. Outfits, Make-up, der ganze Auftritt – alles ist darauf ausgelegt, aufzufallen."Alles war SO krass!" (aber keine Details):
Der Sprachstil ist total dramatisch, aber irgendwie vage. Fragt man nach, warum der Abend "die absolute Katastrophe" war, kommen oft keine konkreten Fakten, nur Gefühle.Die große Theatervorstellung:
Gefühle werden nicht einfach gefühlt, sie werden inszeniert. Eine kleine Meinungsverschiedenheit wird zum Staatsakt, eine Trennung zur Oper.Leicht zu beeinflussen:
Betroffene sind extrem empfänglich für die Stimmungen anderer oder lassen sich von "Autoritäten" total mitreißen. Sie sind schnell beeinflussbar Meinungen zu ändern, wenn sie sich davon Anerkennung versprechen."Wir sind beste Freunde!" (nach einem Gespräch):
Beziehungen werden viel enger und intimer eingeschätzt, als sie es sind. Ein netter Plausch mit einem Fremden? "Ein Seelenverwandter!"
Das Verrückte ist der Widerspruch:
Nach außen wirken diese Menschen oft mega selbstbewusst und charmant. Innen drin sieht es aber ganz anders aus.
Ihr Selbstwert ist extrem brüchig und hängt komplett an der Bestätigung von außen. Fällt der Applaus weg, droht ein tiefes Loch der Wertlosigkeit.
Das "Drama" ist also keine Stärke, sondern ein verzweifelter Versuch, dieses Loch zu stopfen.
Puh, das sind viele Punkte.
Aber warte mal... einiges davon klingt doch total nach Narzissmus, oder?
Was ist der Unterschied zwischen einer histrionischen Persönlichkeitsstörung zu Narzissmus oder Borderline?
Das ist eine super wichtige Frage!
Diese Störungen werden oft in einen Topf geworfen, weil sie alle zur "dramatischen" Gruppe gehören. Aber ihre Motivation ist völlig unterschiedlich.
Stell dir drei Leute vor, die eine Bühne betreten:
Der Histrioniker ruft: "SEHT MICH!"
Er giert nach Aufmerksamkeit – egal ob positiv oder negativ. Hauptsache, die Kameras sind auf ihn gerichtet. Er will gesehen werden.
Der Narzisst ruft: "BEWUNDERT MICH!"
Er giert nach Bewunderung. Er will nicht nur gesehen werden, er will als der Beste, Größte und Überlegenste gesehen werden.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ruft: "VERLASST MICH NICHT!"
Hier ist das Kernmotiv die panische Angst vor dem Verlassenwerden. Die Instabilität kommt oft aus dieser tiefen Verlustangst, nicht primär aus der Suche nach Aufmerksamkeit.
In echt ist das natürlich oft vermischt. Genau deshalb sind Selbstdiagnosen per Internet so gefährlich. Aber diese Unterscheidung hilft, den Kern zu verstehen.
Jetzt wissen wir, was es ist und was es nicht ist.
Aber wie wird man eigentlich so?
Warum entwickelt man diesen Persönlichkeitsstil?
Ein Blick in die Kindheit
Hier gibt es nie die eine Antwort.
Es ist fast immer ein Mix aus zwei Dingen: Veranlagung und Erfahrung.
Die Biologie (Veranlagung):
Manche Menschen sind von Geburt an vielleicht "reizempfänglicher". Ihr Nervensystem ist "lauter" eingestellt, sie suchen mehr nach Neuem und sind abhängiger von Reaktionen.Die Erfahrung (Das "Lernen"):
Das ist oft der Knackpunkt. Stell dir ein Kind vor, das in einem emotional eher kühlen oder distanzierten Umfeld aufwächst. Es bekommt wenig Beachtung.
Irgendwann merkt es: Wenn ich hinfalle und richtig laut schreie, kommt Mama gerannt.
Wenn ich eine kleine Show abziehe, lacht Papa.Das Kind lernt eine knallharte Lektion:
"Normal sein bringt nichts. Nur wenn ich dramatisch bin, werde ich gesehen und geliebt."
Dieses Verhalten war damals eine brillante Überlebensstrategie.
Das Problem ist: Das Kind wird erwachsen, aber das Programm läuft weiter.
Das dramatische Verhalten, das früher notwendig war, um Liebe zu bekommen, wird im erwachsenenalter zum festen Muster, das im Erwachsenenleben plötzlich alles kaputt macht.
Aber wie genau wirkt sich das auf das Leben aus, wenn die Show einfach immer weiterläuft?
Was macht das mit Beziehungen und dem Job?
Wenn das Leben eine Bühne ist, sind alle anderen Menschen entweder Publikum oder Mitspieler – und das ist auf Dauer extrem anstrengend.
In Beziehungen (Die große Erschöpfung):
Hier knallt es am häufigsten.
Am Anfang sind Partner oft total fasziniert von dieser Energie und diesem Charme. Aber schnell fühlen sie sich wie ein Ein-Personen-Publikum, das ständig applaudieren muss.
Sie sind erschöpft von der Intensität, den inszenierten Dramen und der ständigen Jagd nach dem nächsten "Kick". Wenn die Bewunderung nachlässt, wird der Histrioniker schnell frustriert oder "langweilt" sich und sucht die nächste Bühne. Das führt zu vielen instabilen, kurzen und dramatischen Beziehungen.
Im Job (Top oder Flop?):
Hier ist das Bild gemischt.
In einem stillen Buchhaltungsbüro? Schwierig. Die schnelle Langeweile, die Dramatisierung von Problemen und der Mangel an Details stören oft den Frieden.
Aber: In "Bühnenberufen" (Medien, Management, Politik, Vertrieb) können diese Züge sogar zum Erfolg führen! Charme, Theatralik und ein Händchen für den großen Auftritt werden dort oft belohnt. Es wird erst dann zu einer Störung, wenn die Leistung dauerhaft einbricht oder die Kollegen reihenweise kündigen.
Das Schlimmste ist aber oft das, was innerlich passiert:
Wenn der Applaus ausbleibt, werden viele Betroffene depressiv, bekommen Angststörungen oder entwickeln Suchtprobleme.
Das klingt jetzt alles sehr ernst.
Und vielleicht fragst du dich beim Lesen: "Moment mal... habe ich das vielleicht auch?"
Warum du auf keinen Fall einen Online-Test machen solltest!
Du googelst die Symptome, findest einen "Histrioniker-Test", klickst 10 Fragen an und – Treffer! Panik.
STOPP!
Bitte tu das nicht. Ein Online-Test ist keine Diagnose.
Er ist im besten Fall nutzlos, im schlimmsten Fall gefährlich.
Warum?
Falsche Panik:
Der Test sagt "Ja" und stürzt dich unnötig in Verzweiflung, obwohl du vielleicht nur ein paar Züge hast.Falsche Sicherheit:
Der Test sagt "Nein" und du suchst keine Hilfe, obwohl du sie dringend bräuchtest (z.B. weil du eher den "leisen" Narzissmus oder eine Depression hast).Er übersieht den Körper:
Viele psychische Symptome können körperliche Ursachen haben (z.B. die Schilddrüse!). Ein Test kann das nie erkennen.
Statt eines "Tests": Ein Werkzeug zur Selbstreflexion
Was aber hilft, ist ehrliche Selbstreflexion.
Die folgenden Fragen sind kein Test, sondern nur ein Anstoß.
Wenn du dich hier stark wiedererkennst und darunter leidest, sprich bitte mit einem Profi (Hausarzt oder Psychotherapeut).
Verhaltensmuster:
Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
Frage zur Selbstreflexion:
"Fühle ich mich häufig wertlos oder ignoriert, wenn ich nicht im Mittelpunkt stehe?"
Verhaltensmuster:
Interaktionsstil
Frage zur Selbstreflexion:
"Setze ich oft bewusst Charme oder Flirts ein, um Aufmerksamkeit zu bekommen, bin ich manchmal unangemessen verführerisch?"
Verhaltensmuster:
Emotionaler Ausdruck
Frage zur Selbstreflexion:
"Beschreiben mich andere als 'theatralisch'? Fühlen sich meine Gefühle manchmal selbst für mich 'flach' an?"
Verhaltensmuster:
Sprachstil
Frage zur Selbstreflektion:
"Spreche ich oft in großen Worten ('Katastrophe', 'Traumhaft'), habe aber Mühe, Details dahinter zu benennen?"
Verhaltensmuster:
Beeinflussbarkeit
Frage zur Selbstreflektion:
"Lasse ich mich superleicht von den Meinungen anderer mitreißen, nur um dazuzugehören?"
Verhaltensmuster:
Wahrnehmung von Beziehungen
Frage zur Selbstreflektion:
"Neige ich dazu, Leute schnell als 'beste Freunde' zu bezeichnen, obwohl ich sie kaum kenne?"
Ein Profi macht übrigens keinen Online-Test.
Er führt ausführliche Gespräche, prüft, ob die Muster schon seit der Jugend bestehen, und schließt körperliche Ursachen und andere Störungen (wie Borderline/Narzissmus) aus.
Ob nun selbst reflektiert oder vom Profi diagnostiziert:
Wenn man das hat... kriegt man das wieder weg?
Raus aus dem Theater: Wie funktioniert Heilung?
Die gute Nachricht zuerst:
Auch wenn diese Muster tief sitzen, sind sie veränderbar.
Der Hauptweg ist fast immer eine Psychotherapie (Verhaltenstherapie).
Personen mit histrionischer Persönlichkeitsstörung kommen jedoch nicht zur Therapie und sagen: "Ich bin zu dramatisch." Sie kommen, weil sie schwere Depressionen haben, eine Angststörung entwickelt haben, oder weil die x-te Beziehung gerade auf die schmerzhafteste Weise gescheitert ist.
Das Ziel der Therapie ist NICHT, "langweilig" zu werden!
Es geht darum, ein echtes, stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen.
Du lernst, dich selbst wertzuschätzen, auch wenn niemand applaudiert.
Du lernst, "echte" Gefühle von "inszenierten" zu unterscheiden und sie auch mal auszuhalten, ohne sofort eine Show daraus zu machen.
Die große Herausforderung:
Das Problem ist, dass Betroffene ihr "Theater" mit in die Therapie bringen. Sie versuchen (unbewusst), den Therapeuten zu manipulieren, ihm zu gefallen oder ihn zum neuen Publikum zu machen. Ein guter Therapeut erkennt das.
Er applaudiert nicht, sondern setzt klare Grenzen und wird so zu einem Trainingspartner für eine echte Beziehung.
Aber gibt es nicht vielleicht einfach eine Pille dagegen?
Gibt es eine Pille gegen Persönlichkeitsstörungen?
Hier ist die Antwort ganz klar: Nein.
Es gibt keine Medikamente, die die Histrionische Persönlichkeitsstörung selbst behandeln.
Medikamente kommen nur dann ins Spiel, wenn die Begleiterkrankungen zu schlimm werden.
Also zum Beispiel Antidepressiva, wenn eine schwere Depression das Leben lähmt, oder Beruhigungsmittel bei starken Angstzuständen.
Sie behandeln aber nur die Symptome, nicht die Ursache – das Theaterstück läuft im Hintergrund weiter.
Was ist der wichtigste Gedanke, den wir zum Schluss mitnehmen sollten?
Wenn du eine Sache mitnimmst, dann diese: Histrionisches Verhalten ist weit mehr als nur "Drama".
Es ist keine bewusste Entscheidung, "nervig" zu sein. Es ist eine tief verwurzelte, ehemals notwendige Überlebensstrategie, um mit einem extrem brüchigen Selbstwertgefühl klarzukommen.
Der Weg da raus ist lang, ja.
Aber er ist möglich. Das Ziel ist nicht, deine Lebendigkeit zu verlieren.
Das Ziel ist, echt zu werden – und deinen Wert nicht mehr vom Applaus der anderen abhängig zu machen, sondern ihn sicher in dir selbst zu finden.
Das ewige "Auf-der-Bühne-Stehen" ist unglaublich kräftezehrend und die dahinterliegende Leere schmerzhaft.
Wenn du spürst, dass auch dich alte Muster oder der Zwang, immer "performen" zu müssen, blockieren und du dir wünschst, endlich ein authentisches, innerlich stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen:
Ich begleite dich mit meinem traumasensiblen Coaching auf diesem Weg.
Hier erfährst du mehr über eine Unterstützung, die dir hilft, hinter die Kulissen zu blicken und wirklich bei dir anzukommen.
Vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit! ♡
Ich bin Nicole. Ich bin Coach für Neurosystemische Integration, ganzheitlich integrative Traumaarbeit
Ich begleite Menschen, die ihr Leben lang funktioniert und sich angepasst haben. Jetzt suchen sie eine Veränderung.
Sie wirken nach außen stark, sind innerlich aber am Rande der Erschöpfung.
Ich helfe ihnen, den Kreislauf aus Anpassung, Schuldgefühlen und Selbstzweifeln zu verlassen.
So finden sie den inneren Frieden, den sie sich schon lange wünschen.