Warum du dich nicht sicher fühlst, obwohl du in Sicherheit bist (und was dein Körper damit zu tun hat)🕊️

Nervensystem regulieren

Vielleicht kennst du das Gefühl: Du sitzt in einem gemütlichen Café, trinkst deinen Lieblingstee und alles um dich herum ist friedlich. Dein Verstand weiß, dass du sicher bist, dass keine Gefahr droht.

Und doch spürst du eine innere Unruhe, eine diffuse Anspannung, die sich in deinem Magen festkrallt oder deine Schultern hochzieht. Es ist, als würde ein unsichtbarer Alarm in dir klingeln.

Dieses Gefühl, das so viele von uns kennen, hat einen Namen:
Es ist die Diskrepanz zwischen dem, was dein Kopf denkt, und dem, was dein Nervensystem fühlt.

Für Menschen, die frühe oder langanhaltende traumatische Erfahrungen gemacht haben, ist diese Kluft Alltag. Ihr Nervensystem hat gelernt, ständig auf der Hut zu sein, selbst wenn die Bedrohung längst vorbei ist. Es ist ein tiefer, innerer Schutzmechanismus.

In diesem Artikel möchte ich dir genau das erklären:
Warum sich Sicherheit nicht einfach herbeidenken lässt und wie du deinem Nervensystem helfen kannst, wieder in die Ruhe zu finden. Es ist kein schneller Weg, aber ein zutiefst heilsamer.

Es geht darum, nicht gegen deinen Körper zu arbeiten, sondern ihm zuzuhören und ihn liebevoll auf den Weg der Heilung zu führen.

Lass uns gemeinsam diesen Weg gehen.

 
 

1. Sicherheit:
Über den Vagusnerv das Nervensystem regulieren

1.1 Was bedeutet Sicherheit wirklich?

Wenn wir über Sicherheit sprechen, denken wir meist an äußere Faktoren:
ein verschlossenes Haus, ein liebevoller Partner, ein sicherer Arbeitsplatz. All das sind wichtige Aspekte, aber sie sind nur ein Teil der Gleichung.

Die tiefste Form von Sicherheit ist ein Zustand in unserem Inneren, ein Gefühl von Geborgenheit, das aus dem tiefsten Inneren kommt. Es ist das Wissen, dass du im Hier und Jetzt sicher bist, nicht nur mit dem Kopf, sondern mit jeder Zelle deines Körpers.

Dieser Zustand ist etwas, das dein autonomes Nervensystem in jeder Sekunde deines Lebens überwacht. Es ist wie ein unsichtbares, hochsensibles Radar, das ständig unsere Umgebung und unser Inneres scannt.

Doch dieses Radar ist nicht dafür da, uns auf Trab zu halten. Es ist eigentlich darauf ausgerichtet, für unsere Sicherheit zu sorgen.

1.2 Das unbewusste Sicherheits-Scannen

Dieses unbewusste Scannen nach Bedrohung oder Sicherheit hat einen Namen: Neurozeption.

Ein Begriff, der von Stephen Porges, dem Begründer der Polyvagal-Theorie, geprägt wurde.

Neurozeption ist die Fähigkeit deines Nervensystems, Signale der Gefahr oder der Sicherheit aus deinem Inneren und deinem Umfeld zu empfangen. Es ist ein komplett unbewusster Vorgang, der schneller ist als jeder Gedanke.

Wenn dein Nervensystem durch die Neurozeption die Abwesenheit von Gefahr signalisiert, ist es in Balance. Du bist entspannt, fühlst dich präsent, verbunden und bist kreativ und offen. 

1.3 Dein autonomes Nervensystem:
Sympathikus und Parasympathikus

Dein autonomes Nervensystem besteht aus zwei wesentlichen Teilen:
dem Sympathikus und dem Parasympathikus.

Der Sympathikus ist dein Gaspedal. Er ist für die Mobilisierung von Energie zuständig, also für Flucht- oder Kampfreaktionen bei Gefahr.

Der Parasympathikus ist deine Bremse, er sorgt für Ruhe, Entspannung, Regeneration und Verdauung. Bei einem gesunden, nicht traumatisierten Nervensystem funktionieren diese beiden Systeme in einem harmonischen Zusammenspiel. Es kann Gefahr und Sicherheit klar voneinander unterscheiden und bei Sicherheit in den Modus von Ruhe und Verbindung schalten.

2. Die Spuren der Vergangenheit –
Wie frühe Prägungen dein Nervensystem beeinflussen

2.1 Wenn das Urvertrauen fehlt

Die Schwierigkeit, dieses tiefe Gefühl von Sicherheit zu empfinden, ist oft eine Folge von frühen, prägenden Erfahrungen.

Wenn wir beispielsweise ein Entwicklungstrauma oder Bindungstrauma erleben, prägt sich ein tiefes Gefühl der Unsicherheit in unser Nervensystem ein.

Dies passiert schon in den frühesten Phasen unseres Lebens – sogar pränatal. Wenn eine Mutter während der Schwangerschaft unter hohem Stress oder Gewalt leidet, erlebt das ungeborene Kind den gleichen Stress auf körperlicher Ebene. Hier gibt es noch keine kognitive Verarbeitung, aber das Baby lernt auf körperlicher Ebene: Die Welt ist ein gefährlicher Ort.

Spätere traumatische Erlebnisse wie eine schwierige Geburt, frühe Trennungen oder mangelnde emotionale und körperliche Feinfühligkeit der Bezugspersonen tragen dazu bei, dass das kindliche Nervensystem das grundlegende Gefühl entwickelt, nicht in Sicherheit zu sein.

Diese Erfahrungen werden nicht als klare Erinnerungen gespeichert, sondern als diffuse Körperzustände und Empfindungen – im sogenannten impliziten Gedächtnis.

2.2 Das implizite Gedächtnis und seine Macht

Das implizite Gedächtnis ist wie ein internes Tagebuch deines Körpers. Es speichert Zustände, nicht Geschichten. Und wenn in diesem Tagebuch die Seiten voller Angst und Bedrohung sind, dann suggeriert es deinem Nervensystem dauerhaft eine latente Bedrohung. Es ist wie eine alte, verborgene Wunde, die ständig schmerzt, auch wenn die Ursache längst geheilt scheint.

Genau das ist der Grund, warum kognitive Überzeugungen oft nicht ausreichen. Dein Kopf mag sagen: "Ja, es stimmt, ich bin jetzt erwachsen, ich bin frei und in Sicherheit." Aber dein Körper, dein implizites Gedächtnis, sendet über die Neurozeption ständig die Botschaft: "Nein, das ist nicht die Wahrheit. Ich spüre die Gefahr in jeder Zelle."

Diese tiefe, zelluläre Erinnerung kann Überzeugungen formen wie: "Die Welt ist ein gefährlicher Ort", "Menschen sind gefährlich" oder "Niemand ist verlässlich."

Aus dem Empfinden von mangelnder Sicherheit entstehen oft auch körperliche Symptome wie chronische Schmerzen, Autoimmunerkrankungen oder Ängste und Panikattacken.

3. Das Dilemma beim Nervensystem regulieren – Warum der Kopf allein nicht weiterhilft

3.1 Die Diskrepanz zwischen Wissen und Fühlen

Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass wir erst sicher sein müssen, um traumatische Erfahrungen verarbeiten zu können. Oder dass wir uns einfach nur vor Augen führen müssen, dass wir im Hier und Jetzt sicher sind.

Aber wie du jetzt weißt, reicht das nicht aus. Das ist wie einem Menschen, der das Sprechen nie gelernt hat, zu sagen: "Sprich einfach!" Es ist logisch, aber nicht praktikabel.

Ein so geprägtes Nervensystem ist immer auf der Suche nach Gefahr, weil das die gelebte und abgespeicherte Realität ist. Es ist wie ein überempfindlicher Rauchmelder, der bei jedem Staubkorn anschlägt.

Wenn dir also jemand sagt: "Entspann dich doch einfach, du bist doch sicher!", ist das nicht nur wenig hilfreich, sondern kann dich sogar wütend machen. Du bist dann mit dem Gefühl konfrontiert, falsch zu sein, es nicht "hinzubekommen".

Das ist nicht der Fall. Es ist einfach nur eine Diskrepanz zwischen Kopf und Körper.

3.2 Der Irrtum von Scheinsicherheiten

Ein weiterer Irrtum ist der Versuch, äußere Sicherheit künstlich herzustellen, um sich innerlich sicherer zu fühlen. Wenn ein Mensch glaubt, Bindungen seien gefährlich, kann er Beziehungen meiden.

Wer denkt, die Welt sei bedrohlich, kann versuchen, seinen Lebensradius zu verkleinern. Das sind Versuche, eine Scheinsicherheit zu schaffen, die auf Vermeidung beruht.

Solche Strategien mögen kurzfristig Linderung verschaffen, aber sie sind nicht nachhaltig. Sie behandeln die Symptome, aber nicht die Ursache.

Wahre Sicherheit ist nichts, was wir im Außen machen können, indem wir uns von allem bedrohlichen abschotten. Sie ist ein Zustand, den wir in unserem Inneren kultivieren müssen.

4. Wege zur inneren Sicherheit –
Ein Prozess des Neulernens

Die gute Nachricht ist: Auch aus den tiefsten Prägungen gibt es einen Weg heraus.

Heilung ist möglich. Und dieser Weg ist ein Prozess des Lernens.

Wir können unserem Nervensystem beibringen, dass Sicherheit heute möglich ist.

4.1 Co-Regulation: Heilung in Verbindung

Einer der wirkungsvollsten Wege, um Sicherheit zu lernen, ist die Co-Regulation.

Das bedeutet, sich mit einem Menschen zu verbinden, der selbst Sicherheit fühlt und diese ausstrahlt. Das kann ein traumasensibler Therapeut oder Coach sein, aber auch ein Freund, ein Familienmitglied oder sogar ein Tier.

Dein Nervensystem ist von Natur aus darauf ausgerichtet, sich mit anderen zu verbinden.
Indem du dich im Kontakt mit einem Menschen befindest, der in seiner Sicherheit verankert ist, kannst du lernen, wie sich dieser Zustand anfühlt.

Es ist, als würde dein System sanft andocken und ein wenig von dieser Sicherheit "kosten".

4.2 Sichere Anker im Außen, die dein Nervensystem beruhigen können

Auch wenn äußere Bedingungen allein nicht ausreichen, können sie uns dennoch wichtige Ankerpunkte bieten, die das Lernen von Sicherheit unterstützen. Schaffe dir sichere Räume in deinem Leben, wo du dich geborgen fühlst.

  • Sicherer Ort: Das kann dein eigenes Zuhause sein, ein bestimmtes Zimmer oder einfach ein Ort in der Natur, an dem du dich zurückziehen und in Ruhe sein kannst.

  • Sichere Personen: Umgib dich bewusst mit Menschen, bei denen du weißt, dass sie dir wohlgesonnen sind, dich nicht verletzen und bedingungslos für dich da sind.

  • Sichere Tätigkeiten: Finde eine Tätigkeit, bei der du dich so geborgen fühlst, dass dein Geist zur Ruhe kommen kann. Das kann Kochen, Gärtnern, Sport, Musik hören oder ein kreatives Hobby sein.

Diese äußeren Anker sind keine Lösung für deine tiefen Prägungen, aber sie sind eine Art Fundament, auf dem die innere Arbeit stattfinden kann.

4.3 Der Vagusnerv - der sichere Ort des Nervensystems

Der Vagusnerv ist ein zentraler Bestandteil deines autonomen Nervensystems und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation von Stress und Entspannung.

Er ist wie eine Autobahn, die Signale zwischen deinem Gehirn und fast allen wichtigen Organen hin und her sendet. Die gute Nachricht ist: Wir können lernen, ihn zu aktivieren und so unsere Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken.

In den letzten Jahren gibt es viele Bücher, Kurse und Techniken zur Vagusnerv-Stimulation. Das ist wunderbar, denn es ermächtigt dich, selbst aktiv etwas für dein Wohlbefinden zu tun.

Doch es ist wichtig, die Arbeit mit dem Vagusnerv nicht als eine Universallösung zu betrachten. Es ist kein einfacher Knopf, den du drückst, und all deine Probleme sind gelöst. Es ist eine wertvolle Säule, aber es braucht noch mehr, um nachhaltige Heilung zu finden.

5. Hilfreiche Übungen für ein liebevolles Neulernen

Heilung ist ein komplexes Geschehen, das nicht nur eine Ebene betrifft. Wahre Integration von Trauma benötigt die Arbeit an drei Säulen:

  1. Körperarbeit: Hierzu gehört die Arbeit mit deinem Nervensystem und dem Vagusnerv.
    Es geht darum, durch Übungen und Achtsamkeit die Sprache deines Körpers zu lernen und zu beeinflussen.

  2. Kognitive Arbeit: Es ist wichtig, deine Lebensgeschichte und die Auswirkungen des Traumas auf dein Leben zu verstehen. Dieses Wissen hilft dir, dich selbst besser zu verstehen und nicht länger zu glauben, dass du "falsch" bist.

  3. Emotionale Arbeit: Es geht darum, dich mit deinen inneren Mustern und Gefühlen auseinanderzusetzen, sie zu fühlen und zu lernen, sie zu halten, ohne dich von ihnen überwältigen zu lassen.

5.1 Selbstregulation:
Deine Superkraft um dein Nervensystem zu regulieren

Das Ziel all dieser Arbeit ist es, deine Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken.

Es ist die Fähigkeit, dich selbst zu beruhigen, zu halten und zu lenken, auch wenn du in Kontakt mit intensiven, stressigen Emotionen bist.

Das erfordert Übung und Geduld, aber es ist die wertvollste Fähigkeit, die du entwickeln kannst.

Es geht darum, mehr "Containment" zu entwickeln, also eine innere Haltung, die dich selbst aushalten und halten kann, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten.

5.2 Das Pferdchen in dir liebevoll führen

Stell dir vor, du möchtest reiten lernen. Niemand würde dich auf ein wildes Rennpferd setzen, das von 0 auf 100 beschleunigt.

Man würde dir ein kleines, sanftes Pony an die Hand geben.

Genauso ist es mit der Traumaheilung. Es geht nicht darum, die gebundene Überlebensenergie in dir in einem Rutsch zu lösen. Es geht darum, dich sanft an diese Energien heranzutasten, nach und nach deine Fähigkeit zu stärken, mehr Intensität zu halten.

Indem du kleine Mengen fühlst, aushältst und steuern kannst, weitest du dein Stresstoleranzfenster. Du lernst, dass du fähig bist, stress abzubauen, zu fühlen und dich dabei sicher zu fühlen.

6. Fazit und Mutmach-Gedanken für ein reguliertes Nervensystem 

Die Suche nach innerer Sicherheit ist ein heldenhafter Weg.

Es erfordert Mut, sich dem eigenen Schmerz zuzuwenden und die alten Muster deines Nervensystems zu verstehen. Aber es ist ein Weg, der sich lohnt, denn am Ende wartet eine Lebensqualität, die auf wahrhaftigem Frieden und tiefer Geborgenheit beruht.

Vergiss bitte nicht, dass du nicht kaputt bist. Du hast überlebt. Und jetzt ist es an der Zeit, dich liebevoll auf den Weg der Heilung zu begeben. Beginne im Kleinen, schaffe dir sichere Anker in deinem Leben und sei wohlwollend mit dir selbst. Feiere jede noch so kleine Ressource, die dir ein Gefühl von Sicherheit schenkt. Es gibt sie, und du kannst sie finden.

Dein nächster Schritt

Du hast jetzt erfahren, wie komplex und vielschichtig das Thema Sicherheit ist und welche entscheidende Rolle dein Nervensystem dabei spielt.

Doch Wissen allein genügt oft nicht, um tiefgreifende Veränderungen zu bewirken.

Manchmal braucht es eine liebevolle Begleitung, die dich versteht und dir den Raum schenkt, in dem du dich sicher genug fühlst, um dich neu kennenzulernen.

Wenn du bereit bist, dich auf diesen Weg zu begeben und die Beziehung zu deinem Nervensystem zu heilen, dann schau gerne auf meiner Angebotsseite vorbei.

Als traumasensibler Coach bin ich darauf spezialisiert, Menschen wie dich zu begleiten, die das Gefühl von Sicherheit Schritt für Schritt neu erlernen möchten.

Ich freue mich darauf, von dir zu hören.

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Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit ♡


traumasensibles Coaching

Ich bin Nicole,
zertifizierter Coach für NI Neurosystemische Integration® ganzheitlich integrative Traumaarbeit

Ich begleite Menschen, die ihr Leben lang funktioniert und sich angepasst haben und das nun nicht mehr länger hinnehmen wollen.

Menschen, die im Außen stark wirken, aber innerlich am Rande der Erschöpfung sind.

Ich helfe ihnen, den Kreislauf aus Anpassung, Schuldgefühlen und Unsicherheit zu durchbrechen, damit endlich der innere Frieden einzieht, den sie sich schon so lange ersehnen.

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